Alles Große ist einfach, aber das Einfache ist eine Kunst.

Bewertungswahn

Geht Ihnen das auch so auf den Geist? Dieser ständige Bewertungsterror, der allüberall um sich greift und sich schneller vermehrt als ein schädliches Darmbakterium (das sich angeblich nach 20min Lebenszeit schon fortpflanzen kann). Ständig werde ich aufgefordert, irgendwas zu bewerten oder wenigstens als nützlich oder nicht nützlich zu kategorisieren. Dabei habe ich als bekennende Facebook-Verweigerin ja noch nicht einmal die Lizenz zum liken.

Wofür, frage ich, soll das gut sein, vor allem wem nützt das irgendwas? Bestimmt nicht dem Verbraucher, Käufer, User oder wie man diese Zielgruppe der potentiell irgendwie Nutzbringenden sonst noch nennen mag.

Beispiel: Neulich habe ich mir eine Hose im Internet bestellt. Ich gebe zu, ich mache das gern, auch wenn ökologisch verwerflich, aber ich h a s s e es einfach, Kleidung in Geschäften zu kaufen. Das unbarmherzige Neonlicht, die viel zu enge Kabine, die drängelnde Verkäuferin – ein Albtraum!

Jedenfalls: Es gab für diese Hose vier Bewertungen und in allen vieren stand so etwas wie: Hose fällt klein aus, unbedingt eine Nummer größer bestellen! Folgsam wie ich bin, habe ich die Hose eine Nummer größer bestellt, sie kam und war mir prompt eine Nummer zu groß.

Was will uns nun dieses Erlebnis sagen, außer dass ich mich zum x-ten Mal über meine blauäugige Autoritätsgläubigkeit geärgert habe – auch wenn`s nur die selbst angemaßte ist von vier Frauen, die vermutlich ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Kleidergröße haben?

Das Leben als solches mit allem was dazu gehört, lässt sich halt nicht einfach in pauschale Bewertungskategorien stecken, selbst wenn das noch so schön, weil einfach, wäre. Was dem einen gefällt, findet der andere schrecklich, was für die eine passt, geht eben gar nicht bei einer anderen. Und nur weil 1 256 467,5 User irgendwas liken, muss mir das noch lange nicht gefallen (zumindest wenn ich mir die Mühe mache, mal drüber nachzudenken).

Eine Fortführung dieser Unsitte ist auch die wildwuchernde Zertifizierungswut auf dem Weiterbildungsmarkt, also bei Trainern und Coaches. Und hier, da bin ich mir ganz sicher, hat den Löwenanteil des Nutzens die zertifizierende Einrichtung, sprich, sie verdient damit ein Heidengeld. Ein bisschen nützt es auch noch dem Zertifizierten, also dem Trainer oder Coach, weil – siehe Hose – doch immer einige drauf reinfallen. Eher weniger nützt es dem Auftraggeber, dem Klienten oder Coachee. Nur weil jemand Geld bezahlt hat und ein paar formale Kriterien erfüllt, muss dieser Jemand noch lange nicht für die sehr individuellen und komplexen Anforderungen und Ziele einer Person oder eines Unternehmens gut geeignet sein.

Wie soll man also nun den passenden Trainer oder Coach finden? Nun, genauso wie die passende Hose: Man muss sie halt selbst probieren und sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen. Was zugegebenermaßen erst mal eine Portion Unsicherheit produziert und auch dazu führen kann, dass man eben nicht gleich das Passende findet. Aber das Ergebnis dieser Mühe ist dann auch ein Exemplar der Gattung Hose oder auch Trainer oder auch Coach, das wirklich optimal passt. Und daran wird man dann lange Freude haben!

Zum Seitenanfang